RPG
Legend of the Five Rings, das auf einem Sammelkartenspiel basierende Samurai-Rollenspiel, ist mittlerweile in der Vierten Edition erschienen, und zum ersten Mal seit langem auch wieder auf Deutsch. Das ist definitiv ein Anlass, sich die zur Spiel 2010 erschienene Ausgabe vom Uhrwerk-Verlag mal ein bisschen genauer anzuschauen.
Das Produkt
Für stolze, aber in Anbetracht von Ausstattung und Umfang nur ein bisschen hoch erscheinende 59.95 erhält der Käufer einen echten Ziegelstein: Hardcover, 400 Seiten, und vollständig in Farbe. Das erste, was auffällt: Das Buch ist wunderschön. Hinter dem wie schon in der dritten Edition schlichten, aber durchaus eleganten Cover verbinden sich ein übersichtliches, klares Layout mit teils guten, teils atemberaubenden Farbillustrationen zu einem der schönsten Rollenspielbücher, das ich seit langem gesehen habe. Das Feeling der Spielwelt Rokugan wird wirklich perfekt vermittelt. Tatsächlich ist es so gut gelungen, dass es für mich als PDF-Liebhaber echt mal wieder etwas ist, wo ich mit Freuden einen halben toten Baum mit mir herumtrage. Nur ganz wenige Seiten vermitteln ein bisschen den Eindruck einer Textwüste, doch das ist zweifelsohne dem großen Umfang geschuldet. Der Druck ist klar und ohne Patzer, das Papier fühlt sich schön fest und angenehm an. Ein Lesebändchen rundet den durchweg positiven Gesamteindruck ab.
Der Aufbau ist, wie in vorherigen Editionen, nach den Elementen geordnet, die sich durch das ganze Spiel ziehen. So beschreibt das erste Kapitel, Wind, die Spielwelt mit zahlreichen Details. Das zweite Kapitel, Erde, schildert die Grundregeln und das Kampfsystem. In Feuer findet man Charaktererschaffung und Magiesystem, sowie Ausrüstung. Unter Wasser lassen sich „Weiterführende Grundlagen“ finden – weitere Charakteroptionen, Zusatzregeln, Steigerung und Ausführungen zur Schwarzen Magie. Abgeschlossen wird das Buch das Kapitel Leere, in dem sich (ausgezeichnete) Tipps zu Spielleitung, zum Entwerfen von Abenteuern und ein fertiges Abenteuer finden lassen, neben einigen Kreaturen. Die Ausstattung ist hier hervorragend, nur Monster hätten es vielleicht ein paar mehr sein dürfen, ansonsten hat man wirklich zahllose Optionen, so dass einem das Zeug zum Bespielen bestimmt nicht so schnell ausgeht. Im Anhang finden sich neben dem übersichtlichen, zweiseitigen Charakterblatt noch Zusatzblätter für Krieger und Zauberer, sowie eine sehr praktische Kampagnen-Übersicht. Das Buch verfügt über ein sehr gutes Inhaltsverzeichnis und einen wirklichen praktikablen Index.
Fazit: War selten so angetan. Gerne mehr dicke Rollenspiele, wenn sie so aussehen!
Regelwerk
Grundmechanismus
Das Regelwerk der vierten Edition basiert, wie die meisten Auflagen davor, auf dem Roll-and-Keep-System, das auch Grundlage von 7te See ist. Der Grundmechanismus ist einfach, aber durchaus elegant: man nimmt eine Anzahl von W10 gleich dem verwendeten Attribut und der verwenden Fertigkeit, würfelt, und behält eine bestimmte Anzahl von Würfeln, normalerweise in Höhe des Attributs. Diese werden addiert um, zu einem Gesamtergebnis zu gelangen. Die Zehnseiter explodieren, heißt wenn man eine Zahl würfelt, wird weiter gewürfelt und addiert. Zwar dauert ein Wurf nach diesem System durchaus eine gewisse Weile (es ist eben doch ein Poolsystem), fühlt sich dabei aber recht organisch und befriedigend an. Einziges Manko, das auch diese Edition nicht behoben hat, ist das Boni in ein bisschen vielen Varianten auftreten: Sie können die Anzahl der gewürfelten Würfel erhöhen, die der behaltenen oder auch einfach das Gesamtergebnis erhöhen. Das ist ein bisschen unnötig und macht gerade bei der Charakterentwicklung, wenn Boni aus verschiedenen Quellen kommen, genaue Buchhaltung nötig, ist aber zu handeln. Interessant ist hier auch der Mechanismus der Steigerung – der Spieler kann sich den Wurf freiwillig schrittweise erhöhen, um, wenn er dann trotzdem Erfolg hat, zusätzliche Effekte zu erzielen.
Fazit: Ordentlicher Grundmechanismus, vielleicht ein klein bisschen umständlich.
Kampfsystem
Das Kampfsystem ist nicht leichtgewichtig zu nennen, doch so brutal, dass Kämpfe meistens dennoch nicht lange dauern. Charaktere haben eine passive Verteidigung, die mit dem Angriffswurf überwunden werden muss. Diese Verteidigung wird durch Rüstung erhöht, was aber auch bedeutet, dass ein erfolgreicher Treffer direkt von der Lebensenergie abgezogen wird (die hier Wunden genannt wird). Der Schadenswurf entspricht dabei im Mechanismus einer normalen Probe. Verschiedene Manöver sind möglich, meistens durch Steigerungen.
Zwei Merkmale des Kampfsystems möchte ich hier besonders positiv hervorheben. Zum einen sind das die Kampfstellungen, beispielsweise Angriff, Frontalangriff und Verteidigung, die jeweils verschiedene Vor- und Nachteile haben. Diese stellen als zusätzliche Achse zu den Kampfaktionen einen guten Überblick über die taktischen Optionen dar und erlauben durchaus auch im Spiel schöne Aussagen über den Charakter zu treffen. Das andere sind die „Bedingten Wirkungen“. Das sind Auswirkungen wie Geblendet, Ermüdet oder Gelähmt, die Auswirkung von Umständen oder besonderen Angriffen sind. Zwar fühlt sich das ganze ein ganz kleines bisschen wie ein Computerrollenspiel an, dennoch ist es schön, derartige Effekte konkret an einem Ort gebündelt zu haben.
Fazit: Brutales und durchaus flottes Kampfsystem mit einigen sehr guten Ideen, aber ohne wirkliche Innovationen.
Charaktererschaffung
Die Charaktererschaffung ist meiner Meinung nach ein Highlight des Regelwerks, denn sie macht klar, dass das Spiel genau weiß, was es will. Man spielt Samurai. Punkt. Zwar wurde dieses Grundkonzept ein bisschen geöffnet, um auch Magier und Sozialcharaktere (und ja, auch den einen oder anderen Ninja) zu beinhalten, nichts desto trotz ist ganz klar, worum es geht. Hierzu passt auch gut, dass die tatsächlichen Entscheidungen, die gefällt werden, sich verhältnismäßig in Grenzen halten.
Grundsätzlich wählt der Spieler zunächst den Großen Clan, dem Splat, den er angehört. In den Grenzen des Samuraikonzepts gibt es hier durchaus Varianz, es reicht von den Kranichen (eleganten, ein wenig verweichlichten Höflingen) bis zu den Krabben (Vollzeitkämpfer mit einer eher bodenständigen Veranlagung). Jeder Clan bietet einige Familien zur Auswahl. Hier kommen zum ersten Mal bei der Erschaffung Regeln ins Spiel: Charaktere haben 9 Attribute, 8 davon in Zweierpaaren den Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft zugeordnet, und dann noch Leere, das Gummipunktattribut. Die Wahl der Familie gibt einen Bonuspunkt auf ein Attribut, um es über den Startwert von 2 zu heben. Die Wahl der Schule, die unabhängig von der Wahl der Familie stattfindet, auch wenn sich natürlich Kombination anbieten, bietet ebenfalls einen Bonuspunkt, aber nicht nur das: Die Schule bestimmt auch die sieben Anfangsfertigkeiten und die Schultechniken, spezielle regeltechnische Vorteile, die mit der Zeit besser werden. Die Schultechniken machen wirklich Spaß und sind sowohl abwechslungsreich als auch ordentlich ausbalanciert. Sauber! Jeder Clan bietet zumindest eine Kämpferschule, eine Zaubererschule und eine Höflingsschule, sowie eine spezielle Schule, die von der Ausrichtung des Clans abhängt. Wem das nicht genug Abwechslung ist, dem stehen auch noch die Kleinen Clans mit ihren Familien und Schulen zur Verfügung. Abgerundet wird der Charakter mit ein paar Erfahrungspunkten, mit denen man Werte erhöhen und Vorteile kaufen kann. Die Liste der Vor- und Nachteile ist hier sehr stimmungsvoll und zum Thema passend.
Fazit: Ein recht eingeschränktes und geradliniges Charaktererschaffungssystem, das allerdings absolut zielführend ist. Wenig Spielraum für zwanghafte Charakteroptimierer.
Alles Andere
Natürlich gibt es noch viel mehr an Regeln in den vierhundert Seiten. Die Fertigkeitenliste ist umfangreich, aber nicht vollständig aufgeblasen, was vor allem daran liegt, dass Fertigkeiten so gut wie immer einen Nutzen bringen (so kann man beispielsweise mit dem recht nutzlos klingenden Teezeremonie Gummipunkte auffrischen) oder wichtig sind (ein Samurai, der nicht dichten kann, ist kein guter Samurai). Außerdem bringen hohe Werte in Fertigkeiten noch zusätzliche Boni neben dem bloßen Wert, was auch schön ist. Das einzige Problem ist hier, dass die Charaktererschaffungsressourcen vielleicht ein bisschen arg knapp werden. Andererseits unterstützt das Spezialisten und somit Gruppenbildung. Nett bei den Fertigkeiten ist die Einteilung nicht nach Anwendungsgebiet, sondern nach sozialem Ansehen – passt wirklich gut ins Setting!
Die Steigerung ist nicht innovativ (ein Erfahrungspunkt-System mit unterschiedlichen Multiplikatoren), hat aber einen Faktor, der es positiv hervorhebt: Den Rang. Dieser bestimmt, welche Schultechniken der Charakter nutzen kann, und hängt zu einem guten Teil von den Ringen des Charakters ab. Die Ringe entsprechen einem Element (Feuer, Erde, Wasser, Luft und Leere), und zwar immer dem niedrigeren (so hängen beispielsweise Stärke und Wahrnehmung zusammen – hast du eines davon auf 2, das andere auf 4, ist dein Ring nur 2). Das führt zu gleichmäßiger Steigerung, die der Philosophie des Spiels und der Geisteshaltung der Samurai entspricht.
Das Magiesystem basiert auf wirklich umfangreichen Spruchlisten. Hier gibt es nicht wirklich viel zu sagen, es ist nicht wirklich viel Neues zu finden, aber die Zauber sind recht stimmungsvoll.
Für Kenner der Dritten Edition sei gesagt, dass die Unterschiede eher geringer Natur sind. So wurde am Balancing geschraubt, der Mechanismus für Mehrfachaktionen vereinfacht, und einige Bereiche wie Katas und Duelle verschlankt, aber schwerwiegende Änderungen gab es nicht. Was verändert wurde, fällt durchweg positiv auf. Seit der letzten auf Deutsch erhältlichen Version ist diese allerdings tatsächlich ein Quantensprung.
Regel-Fazit: Das Regelwerk von Legend of the Five Rings ist vielleicht nichts das schnellste auf dem Markt, aber es ist elegant, mit vielen schönen Subsystemen für all den Kram, den man als Samurai so braucht (Duelle, Ehre, Ruhm und Status, und vielerlei mehr). Nicht zu kompliziert, aber mit vielen Optionen und wirklich gut auf das intendierte Spielerlebnis zugeschnitten!
Das Setting
Rokugan ist ein reizvolles Setting, das das Samurai-Japan mit verschiedenen Fantasy-Elementen, aber auch Einflüssen aus anderen asiatischen Kulturen unterfüttert. Man merkt dem Setting an, dass es schon lange existiert, und der Metaplot sowohl vom Rollen- als auch vom Sammelkartenspiel vorangetrieben wurde, allerdings ist das Setting doch ausreichend beschrieben, das man sich nicht in Unmgengen von Materie einlesen müsste. Ebenso wird auch ab und zu darauf hingewiesen, dass der Spielleiter natürlich von der offiziellen Historie Rokugans abweichen kann. Natürlich ist Rokugan nicht Japan – die Unterschiede sind klein, aber entscheidend, ein Beispiel ist die Rolle der Frau. Alles in allem lässt sich sagen, dass es dem Buch gelingt, die Spielwelt sehr plastisch und liebevoll darzustellen, so dass man nach der Lektüre losspielen kann, auch wenn man vielleicht vorher noch nie von Rokugan oder auch nur Samurai gehört hat.
Die Welt hat zahlreiche Konfliktpotentiale, unter anderem ein klassisch übernatürlich böses Reich, die im Süden liegende Schattenlande. Doch sich nur darauf zu versteifen, ist fast schon Verschwendung: die vielen kleinen Konflikte zwischen den Bewohnern des Reichs selbst sind es, die Rokugan zu einem interessanten Ort machen. Fragen der Ehre und Loyalität bestimmen den Alltag, und jederzeit kann es passieren, dass Verbündete plötzlich auf der anderen Seite eines Konflikts stehen, ohne dass er deswegen weniger ehrenhaft wäre. Das ist eine Erfahrung, die sich in wenigen anderen Settings finden lässt.
Fazit: Ein gut abgehangenes Samurai-Fantasy-Setting mit viel Atmosphäre. Empfehlenswert für jeden, der auch nur ein bisschen Interesse an der Materie hat.
Zur Deutschen Ausgabe
Aber was ist nun mit der deutschen Version? Wie schon erwähnt ist sie physisch sehr beeindruckend, und wirklich wunderschön. Ich gehe davon aus, dass Ähnliches für die englische Ausgabe gelten wird. Lohnt es sich nun, sich die deutsche Ausgabe anzuschaffen?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Übersetzung sehr ordentlich ist. Es finden sich wenige sprachliche Schnitzer, und die Übersetzungsentscheidungen, die bei schwierigen Begriffen getroffen worden sind, gefallen mir alle sehr gut. Allerdings muss ich auch ein paar Wermutstropfen feststellen. Das Korrektorat erscheint an einigen Stellen ein wenig schludrig. So finden sich manche unschöne Leerstellen, wo ein Bindestrich hingehört hätte (wie beispielsweise bei Mirumoto Familie), die Kommasetzung ist manchmal ein bisschen willkürlich, und doch einige Tippfehler wie „Bo aus Wassers“ wurden nicht behoben. Zusammen mit einigen kleineren Übersetzungsfehlern und einem kurzen (unwichtigen) Absatz, der leider auf Englisch seinen Weg ins Buch gefunden hat, findet sich an der deutschen Ausgabe nichts, was wirklich stört oder ins Gewicht fällt, aber es macht doch den Eindruck, dass ein klein wenig mehr Zeit fürs Drüberschauen gut getan hätte.
Fazit: Gute deutsche Fassung mit kleineren Schönheitsfehlern.
Gesamtfazit
Ich kann die deutsche Fassung von Legend of the Five Rings wirklich empfehlen. Der Preis mag hoch erscheinen, doch findet sich in den 400 Seiten ein wirklich vollständiges Spiel, mit dem man schon alle Möglichkeiten hat, die man sich wünschen kann, das verbunden mit einer ansprechenden Welt und einem Regelwerk, das das, was es tun soll, wirklich gut erfüllt. Die kleineren Fehler in der deutschen Ausgabe sind wahrlich nicht so gravierend, dass sie den Komfort eines gut übersetzten deutschen Buchs zunichte machen würden. Freunde früherer Editionen des Spiels können blind zugreifen.
Titel: Legend of the Five Rings
Art: Basisbuch
Regeln: Roll and Keep
Sprache: Deutsch
Verlag: Uhrwerk-Verlag
Publikationsjahr: 2010
Autor: Shawn Carman, Robert Hobart, jim pinto, Brian Yoon. Übersetzung: Juliane Zwirner
Illustrationen: u.a. Steve Argyle, Anthony Grabski, Wackwitz & Daily, Peter Mohrbacher, Carl Frank, David Ardila
Umfang: 400 Seiten
Bindung: Harcover mit Kapitalband
Preis: 59,95
Rezensent: Daniel Mayer
Links:
Hat jemand mal die limitierte Ausgabe in der Hand gehabt und kann sich zu den Unterschieden äußern? Das würde mich wirklich, ist doch schon die normale Edition eher kostenintensiv. Womit sind die Mehrkosten denn zu erklären, nur der Einband wird es ja nicht sein…
Schönen Dank. Die am besten geschriebene Rezi, die ich hier gelesen habe. Nur ein wenig lang 🙂